20.05.2021

"Da ist aber jemand bockig!"

 

 

Wir waren auf dem Rückweg zu Fuß vom Bäcker nach Hause. Unser Kind schrie aus vollem Hals, weinte durchdringlich und schimpfte vor sich hin. Und war laut. Der Heimweg wurde lang. Auch für mich! Ich hielt die kleine Hand, führte uns nach Hause.

Schon von Weitem sah ich eine eher fremde Frau auf uns zukommen. Ich hatte noch nie ein Wort mit ihr gewechselt - bis heute! Mit gerümpfter Nase und schiefen Lächeln sagte sie im Vorbeigehen: "Na, da ist aber jemand bockig!" Ich lächelte zurück: "Ja, das ist manchmal so!"

Ein Satz, kurz im Vorbeigehen gesagt, mit so viel Inhalt. Wahrscheinlich hat es die Frau nicht böse mit uns gemeint, wollte sich mitteilen, wollte kurze Konversation treiben. Genauso gut hätten wir über das nervige Regenwetter sprechen können:

"Regnet so viel zur Zeit!"

"Ja, das ist manchmal so!"

oder den Verkehr:

"Oh, so viel los heute!"

"Ja, das ist manchmal so!"

Aber es ging, wenn auch kurz, um das Kind. Als wäre es nicht anwesend, wohl wissend, dass es anwesend war und zwischen dem Schniefen aufmerksam zuhörte.

Und meine kurze, aber irgendwie auch zustimmende Antwort, machte es auch nicht besser. "Ja, ist manchmal so!" Was für ein Bullshit!

Wohlwissend, dass von ''Bockigkeit' keine Rede sein konnte: Ich war schließlich diejenige, die einen Spaziergang kurz vor dem Schlafengehen vorgeschlagen hatte. Ich wusste, dass es unterwegs einige Situationen gab, die alles andere als günstig waren (Lieblingsbrötchen beim Bäcker ausverkauft, dann Alternativbrötchen in die Pfütze gefallen, beim Balancieren von der Mauer gefallen und dann überrascht von Hundegebell erschreckt). Mein Kind war also nicht bockig, sondern vielleicht eher enttäuscht, traurig, erschrocken, verängstigt oder/und schmerzhaft verletzt.

"Bockiges Kind!"

Ich glaube, dass wir kaum etwas so schnell und selbstverständlich von außen beurteilen und bewerten, wie das Verhalten von Kindern. Das passiert uns meist so beiläufig, so subtil, so im Vorbeilaufen, dass wir es manchmal gar nicht (mehr) merken...

Manchmal übergehen wir dabei, dass hinter dem gezeigten Verhalten der Kinder so viel mehr steht.

Bei Kindern kürzen wir ab. Uns reicht häufig eine Erklärung.

Wir haben schnell ganz einfache Erklärungen, warum Kinder so oder so handeln. "Sie schreit nur, damit sie Aufmerksamkeit bekommt!", "Der rennt nur so oft aufs Klo, weil er nicht aufräumen helfen will!", "Das macht sie nur, damit sie nicht zuhören muss." oder "Das Kind schreit nur, weil es bockig ist!" Oder wir glauben, dass ein bestimmtes Verhalten nur auftritt, weil unsere Kinder müde sind (darüber habe ich hier geschrieben).

Weil es uns die Situation erträglicher macht, weil es uns die Sache vereinfacht. Weil wir es können. Doch viel zu häufig liegen wir falsch mit unserer schnellen Erklärung. Die wahren Gefühle der Kinder bleiben so eher verdeckt - oder schlimmer - die Kinder bekommen durch unsere vereinfachte Erklärung ein falsches Bild über ihre eigenen Gefühle.

Außerdem:

Wäre ich stattdessen mit einer erwachsenen Person die Straße entlang gelaufen und diese Person hätte laut geweint, geschimpft und sich beschwert. Wie viele Menschen hätten mich angesehen und gesagt: "Ach, da ist aber jemand bockig!"?

Unvorstellbar, oder?

 

Lasst es euch gut gehen!

Johanna

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