"Ich habe die Verantwortung!"
Nun ist es passiert. Es war irgendwie abzusehen und kam dann doch unerwartet. Wir sind tatsächlich in Quarantäne. Nicht alle von uns, aber sobald ein kleines Kind, das noch nicht allein zu Hause bleiben kann in Quarantäne ist, bedeutet es doch für alle Familienmitglieder deutliche Einschränkungen. Sowohl aus logistischen als auch aus rein logischen Gründen. Aber wem erzähle ich das? Wir sind nun wirklich nicht die ersten und wahrscheinlich auch nicht die letzten, die es trifft.
Noch bevor es bittere Realität wurde, dachte ich, dass so ein bisschen zusammenrücken, sich auf die Familie konzentrieren, doch auch seine gute Seiten haben könnte. Hat es auch - das zu sehen fällt mir aber zwischendurch wirklich schwer!
Und dabei haben wir eine grundsätzlich kompfortable Situation: mein Mann hat Urlaub bis Januar, unsere Kinder sind noch nicht schulpflichtig - also kein Homeschooling - ich arbeite aktuell eh von zu Hause aus. Und die weltbesten Nachbarn haben Getränkelieferungen frei Haus zugesichert. Für den Fall der (Not-)Fälle auch direkt in heiß (Glühwein, versteht sich).
"Also, was heulst du?" schreit meine innere Kritikerin in ihrer penetranten und unangenehm stechenden Stimme von hinten in mein Ohr. "Die letzten Geschenke bestellst du online, arbeiten kannst du abends, wenn die Kinder schlafen. Nutze die Zeit um mit deinen Kindern zu basteln, zu backen, zu spielen und zu singen. Bedenke: Ihr seid gesund! SEI DANKBAR! Nutze die Zeit um den Hausputz zu machen, dann ist Weihnachten alles tutti. Lese ein Buch und schreibe Briefe und Karten. Und vergiss nicht deinen Mann, schließlich hat der ja Urlaub!"
So! Jetzt, wo ich es so aufschreibe: "Blöde Kuh!"
Bereits heute an Tag 2 (!!!!), haben wir, glaube ich, alles an emotionaler Achterbahn und Gefühlsausbrüchen, Familien- und Geschwisterstreitereien mitgenommen, was möglich war.
Wir haben sämtliche Versuche gestartet uns abzulenken, zu entlasten und zu planen. Haben unseren plötzlich so stark ausgeprägten Fluchtreflex weggeatmet oder es zumindest versucht. Wir haben geschrien, gelitten, getrauert, geflucht und geschimpft.
Wir haben schon drei Weihnachtsfilme und unzählige Folgen Paw Patrol gesehen, viel Schokolade, Saft und Kaffee verdrückt. Haben überlegt einige Weihnachtsgeschenke schon früher aus dem Keller zu holen oder Weihnachten auf Januar zu verschieben. Wir haben meditiert und gebastelt, Zimmer aufgeräumt und wieder verwüstet. Und ich hab mal wieder Wäsche in der Maschine vergessen...
Wir waren blöd zueinander und haben uns Geschenke gemacht. Haben geredet und geblödelt. Wir haben es geschafft uns richtig anzuziehen (denn heute kommt der Postbote!!).
Und ich war wirklich nicht immer dankbar!!!
Ich war nicht immer aufgeschlossen und zugewandt. Ich habe noch nicht viel gespielt oder überhaupt gebacken. Habe kein Buch gelesen oder Briefe geschrieben. Ich habe einige Male Corona verteufelt, meine Kinder gedanklich zum Mond gejagt (Kurztrip natürlich und natürlich unter den angemessenen Sicherheitsvorkehrungen), mir einige Male die Haare gerauft und immer wieder ernsthaft über die Anschaffung von Noise cancelling Kopfhörern nachgedacht.
In dieser Situation verdichtet sich gerade so viel. Wir rücken zusammen und Reibung erzeugt ja bekanntlich Wärme.
Es wird mir auf einmal so deutlich, was leben heißt. Was es bedeutet die Verantwortung zu tragen. Die Verantwortung über das WIE. Wie wir diese Zeit gemeinsam gestalten wollen. Wie wie es gemeinsam überstehen. Wie wir unser Familienleben gestalten möchten. Wie wir unsere Werte leben und unsere Grenzen vertreten. Wie wir unseren Kindern zeigen was leben und lieben bedeutet. Wie unsere Beziehungen leben? Und wie möchte ich über mich selbst denken?
Das Wie steht sozusagen für unseren ganz eigenen Gestaltungsspielraum.
Für mich bedeutet das vielleicht, dass ich lieber angekuschelt auf dem Sofa noch eine weitere Folge Paw Patrol mit den Kindern schaue anstatt Mensch-ärgere-dich-nicht zu spielen und anschließend völlig genervt zu sein, dass ich vielleicht am Ende der Woche einmal lange saubermache anstatt täglich zwischendurch alles versuche perfekt zu machen und, dass ich wirklich DANKBAR dafür bin, dass man heute ganz köstliche Plätzchen kaufen kann. Und vielleicht ordere ich mir nen Glühwein heute Abend um mir selbst zu zeigen, dass auch meine Fehler ok sind und ich es wert bin!
Ich glaube, dass es nicht darum geht, alle Punkte einer nicht real existierenden Liste abzuarbeiten, sondern zu überlegen WIE wir mit unseren Kindern, Familien und Mitmenschen leben möchten. Wie wir die Beziehungen gestalten wollen - auch zu uns selbst.
So kurz vor Weihnachten vielleicht ein gar nicht so schlechter Zeitpunkt.
Und das gehe ich jetzt erstmal meiner inneren Kritikerin erzählen.
Lasst es euch gut gehen,
Johanna
14.12.2020
Johanna Martinek Mütter - und Familienberatung
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