"Wir alle haben schmutzige Socken!"
Es gibt so bestimmte Momente, die mich daran erinnern, z.B. wenn ich unsere Socken sortiere, wie ich Teile der Welt gesehen habe, bevor ich Kinder bekam. Ich hatte Ideen davon, was mir einmal wichtig sein wird mit meinen Kindern. Gedankengänge, Vorstellungen an die ich geglaubt habe - rückblickend manchmal erschreckend, aber auch amüsant.
Bevor ich selbst eigene Kinder hatte, glaubte ich zum Beispiel, dass mir schmutzige Kindersocken an kleinen Kinderfüssen bestimmte Geschichten erzählen. Geschichten über Eltern, die nicht genügend Aufmerksamkeit für die Sauberkeit ihrer Kinder übrig haben. Geschichten über Kinder, die sich morgens vielleicht im Dunkeln allein anziehen müssen und den Grad der Verschmutzung nicht erkennen können, weil alles andere vielleicht auch nicht so toll sauber ist.
Meiner Phantasie waren da wenig Grenzen gesetzt.
Und heute?
Heute erzählen mir Kinder mit dreckigen Socken ganz andere Geschichten. Sie erzählen, dass es manchmal einfach wirklich viel zu lange dauert die Schuhe (oder sogar die Stiefel) anzuziehen, wenn man draußen unbedingt den vorbeifahrenden Trecker oder die vorbeifahrende Kutsche sehen will. Auch, wenn man dafür einen nassen Rasen überqueren muss. Dass es ein unheimlich angenehmes Gefühl sein muss den Stiefel (in dem bereits ein Fuß steckt) bis an den Rand mit leicht feuchtem Sand zu füllen.
Außerdem weiß ich heute, dass einmal so richtig schmutzig gewordene Socken einfach nicht mehr sauber werden. Egal, ob man sie vor dem Waschen einweicht, mit Fleckenmittel oder sonstigem Hausmittel behandelt. Und, dass besonders neue Socken den Schmutz magisch anziehen.
Außerdem gibt es für mich manchmal viel wichtigeres, als den Boden zu wischen oder auf das Schuheanziehen zu bestehen.
Da gibt es Sätze, wie "Na, ist eure Waschmaschine kaputt?" oder "Man zieht sich morgens aber frische Socken an." oder "Na, hast du keine sauberen Socken gefunden?" Es ist schon spannend, wie schnell sich plötzlich selbsternannte "Saubere-Socken-Verfechter" finden, die ungefragt ihre Einschätzung zur familiären Situation äußern und grundlegende, gesellschaftliche und scheinbar festgeschriebene Gesetze referieren (manchmal höre ich mich selbst solche Sätze sprechen - wie erschreckend!!).
Seitdem ich Mutter bin, hat sich für mich viel verändert.
Ich lerne mich selbst ständig neu kennen. Entdecke neue Ansichten an und in mir. Ich sehe die Welt aus einer anderen Perspektive. Ich hinterfrage viel mehr, gehe selbst hart mit mir ins Gericht. Treffe Entscheidungen manchmal viel leichter als früher, manchmal fällt es mir dafür um so schwerer. Ich möchte bewusst als Mutter leben, ich möchte für meine Kinder, für meine Familie und für mich selbst da sein und mich richtig fühlen.
Ich habe gelernt, dass wir als Eltern immer irgendwo anecken. Dass es IMMER eine andere Meinung und eine andere Seite gibt. Dass wir uns immer wieder rechtfertigen wollen und, dass es schwer ist sich dem zu entziehen. Dass es immer wieder jemanden gibt, der es gut oder besser weiß oder mit unserer Entscheidung, wie wir Dinge angehen (besonders in Hinblick auf unsere Kinder) nicht einverstanden ist.
Ich habe auch gelernt, dass wir passendes annehmen und unpassendem ablehnen dürfen. Das ist nicht immer leicht und klappt nicht immer. Aber es wird leichter.
Mein Blick auf schmutzige Socken hat sich im Laufe der Zeit verändert. Wir haben viele Socken. Viele schmutzige Kindersocken, aus denen der Dreck nicht mehr herauszuwaschen ist. Ich tausche sie nach einiger Zeit aus, andere bleiben und finden immer wieder den Weg in die Schränke.
Diese kleinen Unruhestifter. Sie werden mich noch lange begleiten.
Ich habe meinen Frieden mit ihnen gefunden.
Es ist gut, dass wir sie haben.
Lasst es euch gut gehen,
Johanna
09.10.2020
Johanna Martinek Mütter - und Familienberatung
Vorbilder?!
Wir leben in einer Zeit, in der wir quasi in jede Küche, Wohnzimmer und zum Teil auch Schlafzimmer Einblick bekommen. Doch, was machen wir mit diesen vielen Eindrücken?mehr