"Wie? Dein Kind kann noch nicht...*?"
(*frei einsetzbar: Schwimmen, Krabbeln, Rechnen, aufs Klo gehen, Klettern, Binomische Formeln lösen, stillsitzen.....)
Von dem Druck, der auf uns Eltern lastet und den wir besser nicht an unsere Kinder weitergeben.
Ich bin kein sportlicher Mensch. Denke ich. Schon in der Grundschule konnte ich im Sportunterricht nicht mithalten. Besonders Rückwärtsrollen und Leichtathletik waren für mich die Hölle. Ich war immer die Letzte und für die Rückwärtsrollen baute mein Lehrer eine extra Rampe, damit ich es IRGENDWIE schaffe... Das Gefühl für mich war fürchterlich.
Vorgeführt vor der Klasse. Vor mir selbst. Bis heute habe ich diesen blockierenden Glaubenssatz und das unwohle Gefühl in mir: Ich bin unsportlich.
Dabei stimmt das so nicht. Ich bewege mich gerne, gehe gern spazieren und ich tanze so gern!! Allerdings alles außerhalb der Bewertungsskalen und außerhalb des allegemeinen Interesses! Und ich hatte noch Glück: Sport gilt in unserer Familie (entschuldigt bitte, falls es jemand anders sieht) als nicht so wichtig. Als Nebensächlichkeit - nice to have.
Ich hatte sowieso das große Glück, dass unsere Eltern an unseren nicht so gut ausgeprägten Fähigkeiten vorbeisehen konnten und uns ein Gefühl über uns erlernen und erleben lassen konnten, dass wir gut sind, so wie wir sind. Dass Noten halt Noten sind, dass aber niemand auch nur den geringsten Zweifel hatte, dass aus uns "was wird". Dieses Gefühl ist unbezahlbar!
Ich möchte es weitergeben. Meinen Kindern eben dieses Gefühl und diese Sicherheit schenken. Aber das ist ganz schön schwer. Im Alltag, im Kontakt mit anderen Menschen kommen wir immer wieder zwangsläufig zu Vergleichen. Wir messen, unterscheiden und bewerten. Ständig. Wir möchten unseren Kindern die besten Chancen ermöglichen, den besten Start ins Leben. Sie mit allen "wichtigen" Fähigkeiten ausstatten, die wir geben können oder woanders (Schule, Vereine,...) unterrichten lassen können.
Auch, wenn wir es uns nicht gerne eingestehen: manchmal schleichen sie sich doch ein. Gedanken über unsere Kinder: "Mist, warum ist das Hausaufgaben machen bei unserem Kind so eine Tortour? Bei unseren Nachbarn läuft es doch ganz sorgenfrei." oder "Warum muss mein Kind wieder so schüchtern sein und die ganze Zeit die Zähne nicht auseinanderkriegen? Die anderen Kinder kommen so toll ins Spiel, es wird was verpassen."
Wir haben die Sorge, dass es unser Kind später schwerer haben wird als andere. Dass es unbedingt ganz bestimmte Fähigkeiten erlernen sollte, um in der Welt gut klarzukommen. Wir schauen, was andere Eltern alles tun, ihren Kindern "ermöglichen", ihnen beibringen. Wir schauen, was andere Kinder in diesem Alter schon können und was sie schon alles "können sollten" (wer sagt das überhaupt?).
Diese Vergleiche können nicht glücklich machen und sie verschieben unseren Blick auf das, was uns (manchmal vorher noch nicht) unzulänglich erscheint, es verdeckt den echten Blick auf unsere Kinder.
Also versuchen wir unsere Kinder zu verändern und für eine Zukunft vorzubereiten, die wir gar nicht kennen und von der wir nicht wissen können, ob sie wirklich all diese Fähigkeiten brauchen, die wir gerne für unsere Kinder hätten.
Das ist unglaublich anstrengend für unsere Kinder und für uns selbst auch!!
Ich glaube, dass unsere Aufgabe als Eltern NICHT darin liegt unserem Kind sämtliche Fähigkeiten anzutrainieren, nur weil wir glauben, dass alle Kinder das können (müssen) oder weil wir glauben, dass diese Art zu sein besonders gut wäre für die Zukunft ("Kind, jetzt sag doch mal was, du kannst später auch nicht einfach nichts sagen....). SONDERN, dass es unsere Aufgabe ist unsere Kinder zu lieben. SO WIE SIE SIND!
Ihnen das Gefühl zu schenken: Ich bin gut so wie ich bin! Ich bin liebenswürdig, so wie ich bin! Meine Eltern lieben mich, weil ich ich bin. Mit meiner ganz eigenen Art dieser merkwürdigen Welt entgegenzutreten. Machen wir aus unseren Kindern keine Objekte, die bestimmte Tools zu lernen haben, weil sie für bestimmte Anwendungen nützlich sein könnten. Betrachten wir unsere Kinder als Menschen, die alles mitbringen, was sie für ihr Leben brauchen. Mit ihrer Neugier, mit ihrem Wissensdrang.
Mit ihrem größten Bedürfnis von uns angenommen und geliebt zu werden, so wie sie sind!
Das bedeutet für uns: schauen wir genau hin, lernen wir unsere Kinder kennen. Lasst uns neugierig sein! Ihre Begeisterung für Dinge gemeinsam erleben. (Nebenbei lernen wir auch uns besser kennen.) Schenken wir ihnen das Gefühl und die Sicherheit wertvoll und richtig zu sein.
Und leben wir ihnen vor, dass es für alles immer verschiedene Lösungen geben kann ("Franzi schreibt doch immer alle Hausaufgaben mit - rufen wir sie an und fragen einfach nach!")
DANN haben sie ALLES, was sie für ihre Zukunft brauchen.
Viele Grüße,
Johanna
25.08.2020
Johanna Martinek Mütter - und Familienberatung
Ja, ich gebe zu, ich versuche es manchmal. Ich versuche mich immer mal wieder im "perfekte Mutter sein"... mehr