Gefühle begleiten
Bevor ich Mutter wurde, hatte ich keinen blassen Schimmer, so gar keine Ahnung! Dass es so anstrengend ist unsere Gefühle zu begleiten. Dass es so viel Kraft kostet, so viel Selbstdisziplin braucht und dass ich dabei so viel über mich lernen kann.
Die Situationen gibt es bei uns wohl hunderte Male am Tag (und das ist wahrscheinlich wirklich nicht mal übertrieben): Irgendwer schreit. Laut, eindringlich, verzweifelt, sauer oder entrüstet. Eins der Kinder, ich oder wir alle zusammen.
Weil Puppenkleider nicht passen, im Brot Körner sind, Gläser umgekippt werden, Schilder in der Kleidung kratzen, Bauklötze nicht aufeinander stehen bleiben, weil geschrien wird, weil irgendwo ein Sack Reis umfällt (würde besagter Sack in unserer Küche umfallen, wäre sicherlich ich diejenige, die darüber am meisten schreit...).
Und dann verrennen wir uns manchmal in so einer Art Schrei-Schimpf-Trauer-Erschöpfungs-Spirale.
So anstrengend für alle!
Ich habe dann manchmal Fluchtgedanken, gehe aber in den Angriff. Fange regelrecht an um mich herum zu beißen, den letzten, unsichtbaren Rest Luft um mich herum zu verteidigen. In meinem Kopf kreisen die gleichen Gedanken: "Meine Ruhe.... Meine Zeit..... mein Körper....!"
Ich möchte sagen: "Jetzt reichts! Du wirst größer! Dann ist es nicht mehr so schlimm!"
Ich möchte abkürzen. Für mich!
Ich möchte den Raum verlassen, abtauchen. Und fühle mich gleichzeitig richtig schlecht. Verurteile meine Gedanken und mein Geschrei. Es ist immer wieder interessant, wie ich im selben Moment, in dem ich loslege, laut und blöd zu meinen Kindern werde, WEISS und SPÜRE, dass das, was ich da gerade tue voll blöd ist.
Ich biege quasi mit offenen Augen in diese Einbahnstraße ein. Das wiederum führt nicht selten dazu, dass ich noch mehr Fahrt aufnehme. Weil ich dann nicht mehr nur verärgert über die Kinder, sondern auch noch ärgerlicher auf mich selbst bin. Wie paradox!
Aber ich bleibe. Es gelingt mir noch nicht immer, aber was klappt schon immer?
Ich weiß, wie wichtig es ist, den Gefühlen von uns allen Raum zu lassen. Sie nicht klein zu reden oder zu denken. AUCH NICHT MEINE!
Also versuche ich mein Bestes.
Und atme, besinne mich auf mich, auf meinen Körper, versuche diesen Flow zu unterbrechen.
Ich hocke mich zu dir runter, nehme dich auf den Arm. Beruhige uns. Ich tauche ein in deine Perspektive, versuche zu verstehen. Versuche zu verstehen was dich so aufwühlt und spüre auch bei mir, dass ich beginne zu verstehen was mich so aufbringt.
Ich werde ruhiger. Nehme mir Zeit für dich UND für mich. Gebe dir UND mir den Raum.
Und fange an dich zu bewundern: Wie intensiv du bist. Wie treu du dir bist, wie fokussiert. Wie hartnäckig und ein bisschen verbohrt. Ich stelle mich deinen Gefühlen, begegne ihnen mit Respekt. So wie ich auch beginne meinen Gefühlen zu begegnen.
Das ist der Moment, in dem ich wieder klarer sehen kann und beginne zwischen dir und deinem Verhalten zu unterscheiden. Zwischen mir und meinem Verhalten.
Es ist unser Verhalten, das mich manchmal wahnsinnig macht. Der Versuch unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Unsere Strategien, die vielleicht nicht immer so zielsicher sind.
Es sind nicht wir!
Und wenn ich beginne zu verstehen, was dich und mich antreibt, kann ich uns sehen und uns ganz schön gut leiden!
Ich kann uns annehmen wie wir sind.
Weil mir klar wird, dass wir manchmal nicht anders können.
Dass uns die passenden Strategien noch fehlen, dass wir noch im Prozess sind.
Wir üben ja noch.
Zusammen und Miteinander. Besonders voneinander.
Und für deine Geduld mit mir danke ich dir!
Johanna
19.02.2021
Johanna Martinek Mütter - und Familienberatung
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